Ausgangslage
Ein Garagenzulieferer bemerkt, dass immer mehr Endabnehmer Autoersatzteile und Zubehöre im Ausland ordern. Dadurch gibt es weniger Garagenbesuche und daraus resultierend, weniger Bestellungen die der Garagist beim Zulieferer tätigt.
Sie kennen den Endkunden bis anhin nicht, da sie nur lieferten, was die Garage bestellte. Sie analysieren die verschiedenen online Shops rund um Autoersatzteile, Autozubehör und Garageneinrichtungen. Sie sehen, was die Endabnehmer verlangen und wie ihnen die Produkte und Dienstleistungen angepriesen werden. Sie bemerken in Foren, dass die Konsumenten vielmals eine fachliche Anleitung benötigen, da viele Foren sich mit diesem Thema beschäftigen. Die Kunden verlieren jedoch immer viel Zeit und meist wissen sie nicht, ob sie den Tipps trauen können.
Die Firma möchte ebenfalls auch die Endkunden beliefern, da Lager, Transportlogistik, Support schon vorhanden sind.
Projektziele
- Es soll eine neue Businesseinheit gegründet werden, damit die bisherigen Kunden sich nicht benachteiligt fühlen.
- Um sich von den Mitbewerbern abheben zu können, sollen alle nötigen Einbauanleitungen zur Ansicht elektronisch zur Verfügung stehen. Der Content soll aber auch dem Garagengeschäft zugänglich sein, da dadurch ein Mehrwert geboten werden kann. Jedes Fahrzeug und jedes Teil hat ja seine Tücken und dadurch kann der Automechaniker auch Zeit einsparen.
- Die Lager- und Transport Logistik Unit soll eigenständig werden, um auch für andere Unternehmen, die Touren für Garagen übernehmen zu können. Dadurch wird der Zulieferer bei Kunden auch wahrgenommen, die er bis anhin nicht beliefern durfte. Auf den bisherigen Touren, werden gleichzeitig die Endkunden beliefert.
Projektvorgehen
Es wurde ein Vorprojekt aufgesetzt. Dabei wurden Personas der Kunden erstellt. Eine Persona beschreibt die Merkmale eines Mechanikers einer professionellen Werkstatt, eine andere eines semiprofessionellen „Autoschraubers“, der in seiner privaten Garage immer wieder an seinen Autos „bastelt“. Es wurde definiert, wie sie den Content ansehen und die Produkte handhaben. Da die Garagen der Endkunden vielmals keine Hebebühne haben, müssen die Einbaupläne auch unter dem Auto angesehen werden können. Schnell stellt sich heraus, dass die Anleitungen mit einer virtuellen Brille angezeigt werden muss. Unter den Autos hat es meist einfach keinen Platz um Explosionszeichnungen auf Tablets oder in Papierform ansehen zu können und das Mobile Phone ist nicht so lichtstark bzw. die Akkuleistung mit Beleuchtung würde schnell abgebaut sein. Und die Datenanzeige muss mobil sein, daher fällt der PC ebenfalls weg.
Um weiter gehen zu können, ladet der CIO einzelne CAD Hersteller ein, die in der Automobil- und Ersatzteilbranche Referenzen vorweisen konnten. Ein Anbieter konnte sogar Projekte vorweisen, bei welchen der Content auf virtuellen Brillen angezeigt werden kann. Um sicher zu gehen, dass alle Anforderungen abgedeckt werden, wurde gemeinsam mit diesem Anbieter die Requirements aufgenommen.
Danach erfolgte die Evaluation einer virtuellen Brille und auch dem Redaktionssystem, welches am CAD angeschlossen werden kann. Bei der Firma, die uns in der Analysephase unterstützt, waren die Lizenzkosten sehr hoch, jedoch bot uns die Firma eine Branchenlösung an, womit die Entwicklungskosten tiefer ausfallen und auch die Weiterentwicklungskosten mit anderen Kunden geteilt werden können. Sicherlich gibt es eine Abhängigkeit, aber es soll versucht werden, nicht am Standard vorbei zu entwickeln. Dies insbesondere, da alle unsere Anforderungen gemäss Angebot im Standard umgesetzt werden können.
Die Herausforderung bestand darin, die Ablagestruktur richtig aufzusetzen. Viele Ersatzteile wie Bremsscheiben, werden in mehreren Autos verbaut. Also muss das Masterbild einfach verlinkt werden können.
Evaluation VR Brillen
Das Ersatzteilunternehmen testete einige virtuellen Brillen und merken, dass die digitalen Daten auch mit reellen Daten als mixed Reality vermischt werden können. Sie evaluieren eine stabile und tragsichere VR-Brille eines grossen Anbieters. Informationen und Bilder werden projiziert und via Stimme und Gesten kann interagiert werden. Das Sichtfeld der Brille liegt bei rund 90 Grad. Für die Tiefenwahrnehmung und die Gestensteuerung ist eine sogenannte TOF-Kamera (Time-of-flight) eingebaut. Die Sensorkamera misst via Laufzeitverfahren den Abstand zu unterschiedlichen Gegenständen in der Umgebung. Ausserdem nutzt die Datenbrille ein Tracking-System bestehend aus Gyroskop und Beschleunigungsmesser. Zusammen mit den Daten der TOF-Kamera entsteht so eine Karte der Umgebung und der Gegenstände im Raum. Auch ein Kompass ist verbaut, sodass auf Werkzeuge verwiesen werden kann.
Erstellung von Content
Der Garagenzulieferer konnte auch alle Lieferanten dazu bringen, die CAD Konstruktionsdaten zur Verfügung zu stellen. Leider waren die Autohersteller nicht bereit, ihre Baugruppenbilder zu veröffentlichen. Daher mussten mit speziellen Kameras die Fahrzeuge aufgenommen und mit den bestehenden Explosionszeichnungen verknüpft werden. Um einen räumlichen Eindruck zu erzeugen, werden zwei Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven erzeugt und dargestellt (Stereoprojektion).
In einer zweiten Phase wird dann dieser 3D Content, noch mit akustischen und visuellen Signalen erweitert, damit der Mechaniker anhand von Signalen über Arbeitsschritte informiert werden kann. Damit weiss der Mechaniker, welche Arbeitsschritte nötig sind.
Nun werden in der ersten Phase die Anleitungen der 50 gängigsten Autotypen formatiert. In den Schritten werden auch Werkzeuge und Hilfsmittel angezeigt, die bestellbar sind. Mit der Stimmen- und Gestiksteuerung kann der Artikel jeweils in den Warenkorb gelegt werden.
Vermarktung
Das Projekt wird ausgerollt. Die Brille sowie ein Wireless Repeater werden im ersten Monat ab einem Bestellwert von CHF 2’000.— kostenlos zur Verfügung gestellt. Nach dieser Zeit werden die Geräte ab einem Jahresvolumen von CHF 4’000.– kostenlos abgegeben. Erreicht der Kunde diesen Betrag nicht, werden CHF 500.— belastet. Der Kunde muss jedoch per Bluetooth mit dem Mobile Phone und das Mobile Phone mit dem Wifi Router verbunden sein. Die Repeater werden mitgeliefert, da in einer Testphase einzelne Kunden besucht wurden um nachzuprüfen, wie die Daten gestreamt werden können. Um sicher zu gehen, wurde sicherheitshalber auch dieser zur Verfügung gestellt.
Dienstleistungen die neu bezahlt werden
Der Kunde kann auch einen Supportvertrag abschliessen, bei dem eine Fachperson online für Fragen etc. zur Verfügung steht. Er kann über die Brillenkamera Anweisungen und Tipps geben.
Nachdem die ersten Erfahrungen gesammelt werden konnten, wurde festgestellt, dass diese Dienstleistung rege bestellt wird, da der Support minütlich abgerechnet werden kann und die Arbeit nicht unterbrochen werden muss. Dies ist insbesondere erfreulich, da dadurch ein Grossteil der teuren Beratungs- und Falschbestellungskosten eingespart werden können.
Auch dieses Projekt war ein voller Erfolg. Zusätzlich kamen immer mehr Anfragen von ausländischen Kunden, sodass die Firma Zweigniederlassungen in DACH, Frankreich und Italien eröffneten. Der Content war ja bereits 3 sprachig, wodurch dieser Schritt einfach vollzogen werden konnte. Im Ausland wurde jedoch die Lager-, Transportlogistik ausgelagert.
Zwischenzeitlich wurde die Kapazitätsgrenze erreicht. Niemand hätte damit gerechnet. Daher wurde in Grenznähe Land gesucht, welches gut angebunden ist und wo auch genügende Mitarbeiter gefunden werden konnten um selber die internationale Lagerlogistik sicherstellen zu können.
In einer späteren Phase, wenn die 3D Drucktechnologie auch ausgereift ist, soll analysiert werden, ob ein Bedarf besteht, z.B. „Kleinteile“ wie Emblem, Zierleisten, Knöpfe etc. beim Kunden selber ausdrucken zu können. D.h. damit könnte insbesondere der Oldtimer-Markt ausgebaut werden. Dieser wurde bis jetzt nur punktuell bedient, da der Bestellzuschlag für Kleinteile auch bei unseren Lieferanten zu hoch ist und die Margen auf Kleinteilen einfach zu tief sind. Die Druckdaten und auch der 3D Drucker würde ab einem Bestellwert von schätzungsweise CHF 5’000.— zur Verfügung gestellt werden.
Viele der Daten sind auf dem Markt käuflich zu erwerben, daher sollen hier die Details geprüft werde, um auch hier Entscheidungen auf Basis verlässlicher Daten treffen zu können.
Erfolgskontrolle und lessons learned
“Zum Glück haben wir eher pragmatisch mit kleinen Teilschritten angefangen. Hätten wir alle Projekte gleichzeitig Stämmen müssen, hätten unser Tagesgeschäft und die Mitarbeiter zu arg gelitten. Die Ideen sind auch erst gekommen, nachdem wir die ersten positiven Kundenfeedbacks erhalten haben. Die Kundentreue hat sich bei den Garagen verbessert, da just in time die Anleitungen zur Verfügung stehen ohne vorher sich in Anleitungen lesen zu müssen.“
„Nun zu der Rückseite der Medaille. Das Digitalisierungsprojekt ohne neue Lagerlogistik hat uns rund 2 Mio. CHF gekostet. Dafür müssen wir noch lange bluten. Hätten wir jedoch diesen Schritt nicht eingeleitet, würde es uns vermutlich in 4 Jahren nicht mehr geben. Nun sind wir gewachsen und rund alle Quartale werden neue Funktionalitäten aufgeschaltet. Es hat sich gelohnt und wir werden auf diesem Fundament die Zukunft bestreiten können“, meinte der CEO.
Die Moral an der Geschicht, dieses Projekt gibt es so nicht.
Es soll aufzeigen, wie einfach es ist und helfen, auf diesem Case Ideen zu finden, anstelle uns zu winden.
Es gibt sicherlich Firmen die kommen und gehen, das konnten viele sehen.
Aber warte nicht ab, denn eines Tages wird vermutlich ein Schnellerer, Günstigerer kommen und alles ist zerronnen.
Sei daher auf der Hut und denke voraus, wie ein Pfau und nicht wie der Vogel Strauss.
Tesla, Google, Uber, BitCoin etc. zeigen, wie schnell wir die Köpfe neigen.
Passieren kann es jederzeit, daher sei für die digitale Zukunft bereit.